Ich würde mich selbst als vergleichsweise historisch interessiert betrachten. Beim Reisen gehört es für mich mit dazu, auch ein bisschen was zur Geschichte eines Landes zu lernen. Erstens weil das eigentlich immer ungeheuer spannend ist, und zweitens weil es einem oft hilft, ein Land, so wie es heute da liegt, besser zu verstehen und zu erfahren. Und auch, wenn ich oft schon ein bisschen was weiß, sobald ich das Flugzeug oder den Zug verlasse und meinen Fuß zum ersten Mal auf fremden Boden setze, muss ich sagen, dass ich in Südkorea weitestgehend blank war, was die weitere Geschichte betraf. Klar, von der Teilung in Nord- und Südkorea hat fast jeder schon gehört, gerade wir Deutschen können davon ja ein Lied singen. Auch vom Koreakrieg, der ja erst zur Teilung geführt hat, hat man wahrscheinlich schon mal irgendwie mitbekommen. Aber zu allem, was davor passiert ist in diesem Land im so weiten Osten Asiens, tun sich in meinem Wissen schnell große Lücken auf.
Zu Gyeongju & Anreise
So war ich dankbar, diese wenigstens teilweise schließen zu können, als ich zu einem Besuch in Busan im äußersten Süden der koreanischen Halbinsel weilte. Dabei nutzte ich die Gelegenheit, die Stadt Gyeongju zu besuchen. Heute noch eine Stadt von gut 250000 Einwohnern und deutlich kleiner als Busan, war sie im frühen Mittelalter die Hauptstadt des bedeutenden Königreiches Silla, das zu seiner Blütezeit im achten Jahrhundert einen großen Teil des heutigen Landes umfasste. Bis zum zehnten Jahrhundert verschwand es dann relativ schnell wieder und wurde von konkurrierenden Mächten erobert. Übrig blieben zahlreiche Tempel, Paläste und sonstige Artefakte, die sich teilweise bis in die heutige Zeit erhalten haben, unter anderem in der ehemaligen Hauptstadt. Da sie so herausragende kulturelle Bedeutung haben, locken sie heute Touristen aus nah und fern an, was sie zu einer der beliebtesten Attraktionen Südkoreas macht. Einige der Bauwerke haben auch als erste auf der koreanischen Halbinsel den Status als Unesco-Weltkulturerbe erhalten.
Keine Frage also, dass ich hier vorbeischaute, zumal Gyeongju nur einen Tagesausflug von Busan entfernt liegt, und man mit dem Bus oder Zug bequem dorthin gelangt.
Grabhügel Daereungwon
Eines der bekanntesten Bauwerke steuerte ich gleich nach meiner Ankunft am Bus Terminal der Stadt an, da es mitten im Stadtzentrum steht: Die Tumuli-Park-Zone, in der sich zahlreiche Grabhügel der ehemaligen Könige von Silla befinden. Es sind fast fünfzig an der Zahl, die sich in verschiedene Gruppen der einzelnen Dynastien aufteilen. Die größte davon, der Daereungwon, beherbergt den Cheonmachong, den einzigen Grabhügel, dessen Inneres besichtigt werden kann. Zugegebenermaßen ist man sich nicht sicher, wer genau hier vor tausendfünfhundert Jahren beerdigt worden ist, und neben dem ehemaligen Grab, das ein Steinhaufen mit einem Holzverschlag ist, das mit einigen Verzierungen und Beigaben dekoriert wurde, gibt es auch nicht viel zu sehen. Es wurde jedoch viel der ursprünglichen Ausstattung aus dem Hügel entfernt, und imposant sind die teilweise über 20 Meter hohen Bauwerke allemal. In der parkartigen Anlage, die wirklich sehr schön gestaltet wurde, und den herbstlich eingefärbten Bäumen war es eine große Freude, hier herumzustreifen und den Anblick zu genießen.
Cheomseongdae & Wolji
Ich kam weiter zu dem nächsten teil der Anlage, der Wolseong-Zone genannt wird. Hier befinden sich keine großen Grabhügel, sondern verschiedene Tempel -und Palastanlagen und Parks, deren bekanntester wohl der Blumenpark ist, der hier vielen Besuchern als Instagram-Kulisse dient. Verschiedene farbenfrohe Blumen und Gräser wurden hier auf kleinen Feldern angepflanzt, und auf angelegten Wegen kann man hier zwischen der Pflanzenpracht herumstreifen und hervorragend die Natur genießen. Natürlich nur, solange man keinem Freizeit-Influencer in die Kamera läuft, von denen es hier, wie oft in Asien, eine ganze Menge gibt. Allgemein nutzten viele Familien den schönen Herbsttag für einen Ausflug, gingen spazieren oder ließen Drachen steigen. Eine ganze Weile spazierte ich hier herum, besuchte die etwas südlich gelegene Woljeonggyo-Brücke und genoss die herbstliche Sonne.
Auch eines der bedeutendsten erhaltenen Bauwerke der gesamten Stadt ist hier zu finden: Das Cheomseongdae-Observatorium, eine Sternwarte aus dem siebten Jahrhundert, die als eine der ältesten erhaltenen astronomischen Einrichtungen gilt. Ihr Anblick ist im Vergleich zu anderen Bauwerken hier eher ernüchternd, handelt es sich doch letztlich um einen gut neun Meter hohen Steinturm. Aber beeindruckend ist der Gedanke allemal, dass hier vor vielen Jahrhunderten schon schlaue Menschen Wettervorhersagen aufgrund ihrer Beobachtungen treffen konnten. Insgesamt besteht der Bau aus 365 aufeinander geschichteten Steinen, einen für jeden Tag im Jahr, und jede Schicht umfasst exakt zwölf Steine, genau so viele wie es Monate in einem Jahr gibt.
Ich kam über die Straße in einen anderen teil der Anlage, in dem sich der Wolji-Teich befindet, eine riesige Wasseranlage mit den Resten einer Palastanlage, die auch heute noch absolut beeindruckend zu betrachten ist. Mehrere große, typisch asiatisch aussehende Pavillions säumen das Ufer. Sie sind hervorragend erhalten und sehen nicht aus, als stünden sie dort seit über eintausend Jahren, was den einfachen Grund hat, das sie deutlich jünger sind. Auch wenn die Ursprünge des Teiches tatsächlich bis ins siebte Jahrhundert zurückreichen, wie ein Großteil der restlichen Anlage, wurden sie erst in den siebziger Jahren errichtet. Nachdem sie im Mittelalter, als die Macht von Silla bereits im Abstieg begriffen war, abbrannten und in den Teich stürzten, blieben sie dort fast eintausend Jahre liegen. Als der Teich im zwanzigsten Jahrhundert trocken gelegt wurde, entdeckte man die Überreste und beschloss, sie wieder aufzubauen. Heute ist der Teich ein wunderschöner Anblick, in dem man sich eine ganze Weile verlieren und die Schönheit ausmalen kann, die der ehemals noch viel größere Palast gehabt haben muss.
Zu historischen Bauwerken gehört natürlich traditionelle Folklore
Bulguksa-Tempel
Natürlich hatte Silla in seiner Blütezeit auch geografisch die Ausmaße, die der Hauptstadt eines großen Reiches gebührten, was dazu führt, dass man zur Besichtigung der vielen historischen Stätten eine ganze Menge Schritte macht. Weil die Koreaner, oder einige der internationalen Touristen, wohl manchmal etwas lauffaul sind, gibt es an den meisten Anlagen große Parkplätze und ein ausgedehntes Straßennetz. Auch wenn ich einigermaßen gut zu Fuß bin, musste ich für mein nächstes Ziel mit dem öffentlichen Bus Vorlieb nehmen, der mich gut zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt dort absetzte.
Der Bulguksa-Tempel ist wohl eines der beliebtesten Ziele bei einem Besuch in Gyeongju, trotz seiner Abgelegenheit, aber das wohl absolut zu Recht. Malerisch auf einer leichten Anhöhe gelegen, lockt er allein durch seine Umgebung zu einem Besuch. Auch wenn er grundsätzlich genauso alt ist wie viele der anderen Baudenkmäler hier, hat er sich allein aufgrund seiner Holzbauweise natürlich nicht so lange erhalten, und wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder erneuert und saniert. In seinem heutigen Aussehen aus dem siebzehnten Jahrhundert, erstreckt er sich mit zahlreichen Gebäuden und Innenhöfen über eine große Fläche, in der man wohl stundenlang herumstreifen und ihn erkunden kann.
Dafür hatte ich leider nicht die Zeit, denn als ich ankam, war es schon deutlich nach vier, und die Anlage sollte schon bald schließen. Schon strömten die Besucher in Richtung Ausgang, und ich dachte schon kurz, ich wäre umsonst hergekommen. Jedoch befand sich niemand am Eingang, und so hatte mein spätes Eintreffen sogar etwas Gutes: Ich sparte mir den Eintritt und konnte einfach so noch reingehen. Und noch einen zweiten Vorteil hatte mein spätes Eintreffen: Die im Westen untergehende Sonne ließ sich vom Tempel wunderbar beobachten, und die vielen in der Anlage in leuchtend orangenem Herbstlaub stehenden Bäume strahlten mit dem hell versinkenden Feuerball um die Wette in einem wahrhaft magischen Moment.
Noch eine ganze Weile konnte ich durch die Anlage streifen und die farbenfroh und filigran gestalteten Gebäude bewundern. Es ist leicht, sich hier zu verlaufen, so weitläufig ist die Anlage. Aach wenn die Gebäude überwiegend neueren Datums sind, befinden sich einzelne Pagoden und andere Denkmäler aus deutlich früheren Zeiten hier. Einige der Innenhöfe waren mit Dächern aus schreiend bunten Lampions geschmückt, als wäre ein Fest oder Ähnliches, auch wenn ich den genauen Grund nicht weiß.
Ich hätte wohl noch eine ganze Weile hier verbringen können, aber irgendwann strömten auch die letzten Besucher in Richtung Ausgang, und auch ich beeilte mich, um nicht versehentlich eingesperrt zu werden oder so. Außerdem hatte ich noch die relativ lange Busfahrt ins Stadtzentrum vor mir, wo ich noch ein mal die Grabhügel, dieses Mal in der Dunkelheit mystisch angeleuchtet, betrachten konnte. In einem Konbini gönnte ich mir ein schnelles Abendessen, ehe ich mich zum Busbahnhof und auf den Weg zurück nach Busan machte.

















