Rave The Planet

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Author

Alex

Published

July 29, 2025

Modified

August 5, 2025

An Plakaten, Werbung und sonstiger sichtbarer Anzeichen mangelt es in Berlin erstaunlicherweise komplett. Dafür dass Hunderttausende Leute erwartet werden, merkt man außer der Ansagen in den Straßenbahnen und U-Bahnen der BVG noch nicht viel von der Parade. Man ist dazu geneigt, Parade zu sagen, da der tatsächliche Name doch ein ganzer Mundvoll ist, und drückt dieses Wort doch noch mal deutlich besser aus, was es ist, und was man zu erwarten hat. Nachdem seine Vorgängerin ja vor fünfzehn Jahren leider ein sehr tragisches Ende in Duisburg genommen, und sich bereits Jahre davor von ihrem ursprünglichen Ziel und Gedanken entfernt hat, wurde von den ursprünglichen Erfindern und Veranstaltern der Love Parade vor fünf Jahren ein neuer Anlauf gewagt.

Man hört das wummernde Geräusch des Basses schon am Potsdamer Platz, und sobald man den Tiergarten betritt, beginnt man leichte Druckwellen auf der Brust zu spüren. Ich bin deutlich zu spät, schon seit knapp zwei Stunden läuft die Parade. Vereinzelt sieht man Raver in kleinen Gruppen in Richtung Großer Stern gehen, es ist trotzdem auch hier noch deutlich weniger los als am Alexanderplatz, wo ich in die Buslinie 200 gestiegen bin. Kolonnen von Polizeibussen reihen sich am Straßenrand, Leute leeren die Inhalte ihrer Glasflaschen, die ab hier nicht weiter mitgenommen werden dürfen, manche, die pünktlicher waren als ich, brauchen schon die erste Pause. Der Bass hat sich jetzt zu einem durchdringenden Knallen gesteigert, jeder Schlag ist am ganzen Körper spürbar und die schnelle Abfolge fühlt sich an wie Wiederbelebungsmaßnahmen an einem vom Regen steif gewordenen Körper, der einem sagt: Jetzt ist es Zeit, aufzuwachen. Die Subwoofer dringen aus den einzelnen Wägen der Floats mit unterschiedlichen Frequenzen, überlagern sich, sodass an manchen Stellen nur mehr ein Getöse wahrzunehmen ist. Dazwischen die mittlerweile hier im Epizentrum des Geschehens ganz gut gewachsenen Menschenmassen, am Fuße der Siegessäule stehen die Zuschauer im Kreis an der Straße und beobachten die Parade, im sich wechselnden Takt mitnickend und wogend wie Sträucher im Wind. Jedem vorüberziehenden Wagen folgt ein Tross aus hunderten Tanzenden, ganz vorne die Euphorischsten, weiter hinten die gut gelaunt Nickenden. Hinter dieser Parade aus wankenden Technofans erhebt sich stolz und erhaben die Siegessäule im grauen Julihimmel über das Geschehen, die goldene Else blickt mit Pokerface stur gen Westen und scheint von dem turbulenten Geschehen zu ihren Füßen gar nichts mitzubekommen, oder ignoriert es bewusst. Wahrscheinlich hat sie schon Spektakuläreres gesehen. Ich bleibe eine Weile stehen, schaue mit den anderen zu und fühle mich etwas verloren, der ich hier ganz alleine, und komplett nüchtern, daneben steht, während alle anderen schon Teil des Ganzen zu sein scheinen. Schüchtern nicke ich ein bisschen mit, trete vom einen Fuß auf den anderen und warte darauf, dass der Zauber des Moments seine Wirkung entfaltet und ich mitgerissen werde. Techno ist nicht für jeden was, und sprichwörtlich nüchtern betrachtet ist der Lärm und das Gewusel, die hier herrschen, gepaart mit dem grauen Nieselregen wohl alles andere als anziehend. Wohl deshalb behaupten viele böse Zungen, die elektronische Tanzmusik wäre ohne Drogen nicht zu ertragen. Ohne ein besonders geschultes Auge dafür zu haben, erkenne ich aber trotzdem auf den ersten Blick überwiegend normale Leute, von jung bis alt, und nicht nur degenerierte Druffis. Statt grellpinker Neonkleidung und Federboas, wie man es von den Bildern der Love Parade aus den Neunzigern kennt, dominieren dunkle Shirts und Netzoberteile, sowie, wohl eher wetterbedingt, triste Regenjacken und -capes. Der typische Berliner Clubbing-Dresscode ist wohl in der Pubertät angelangt und hat eine Vorliebe für Düsternis entwickelt. Dazwischen aber auch ganz normale Alltagskleidung. Die Mehrheit der knallbunten Kleidungsstücke sind die Warnwesten der zahlreichen Ordner und Sicherheitsleute, die das Geschehen im Auge behalten und Aufpassen, dass niemand im Eifer des Gefechts unter die Räder kommt. Da besteht vermutlich aber ohnehin keine große Gefahr, denn die Floats, wie sie im Parade-Sprech heißen, schleichen mit gemütlicher Schrittgeschwindigkeit um den großen Stern und danach zurück in die Straße des 17. Juni, sodass auch der fußlahmste Ravende eigentlich ohne Probleme Schritt halten kann. Immer wieder stoppen sie für ein paar Minuten, sodass man sie einholen kann, auch wenn man sich an einem der zahlreichen Essens- oder Getränkestände, die die Route säumen, eine Stärkung gönnt.

Floats um die Siegessäule empfangen einen

Floats um die Siegessäule empfangen einen

Schon im Tiergarten stößt man auf größer werdende Menschenmengen

Schon im Tiergarten stößt man auf größer werdende Menschenmengen

Ich reihe mich in das mir am nächsten stehende, vergleichsweise kleine Float ein, es heißt “Der Weiße Hase” und ist keine große Zugmaschine mit doppelstöckigem Auflieger wie die meisten anderen, sondern nur ein kleinerer Vierzehntonner. Trotzdem schallt auch hier die Musik laut genug, um die benachbarten Anlagen zu übertönen, sodass man sich voll und ganz auf seinen Sound einlassen kann. Auf dem kleinen Teil der Seitenwand, der nicht offen ist, um den auf der Ladefläche Tanzenden einen freien Blick und Frischluft zu ermöglichen, stehen die Forderungen dieser ja eigentlich als politische Demonstration organisierten Megaparty: Anerkennung und Pflege der Techno-Kultur, den Erhalt von Techno-Clubs, der Einführung eines eigenen Feiertages, um der elektronischen Tanzmusik zu gedenken, … ob das Ganze hier schon wieder Massenveranstaltung und Kommerz oder echte Kultur ist, darüber kann man sicher streiten, in diesem Spannungsfeld bewegen sich schließlich alle erfolgreichen Festivals und Dergleichen. Sicher sind nicht alle Anwesenden hier, mich inbegriffen, echte Technofans, aber wen interessiert das, solange alle Spaß haben und auf das Anliegen aufmerksam gemacht wird.

Anfangs wieder etwas verloren am Rand herumstehend, finde ich mich beim Aufbruch unseres kleinen Technokreuzzuges schnell mitten in der Menge wieder und tanze mit den anderen mit. Trotz der Fülle an Leuten und des nervigen Nieselregens herrscht eine positive und ausgelassene Stimmung, wenn sich jemand durchdrängeln möchte, wird ihm bereitwillig Platz gemacht, Menschen kommen ungezwungen ins Gespräch und tanzen einfach zusammen. Es ist leicht, sich darauf einzulassen, und die sich bewegende Masse wird zu einem Organismus der hinter dem Wagen her wabert, im Takt zuckend und wippend, und die Arme hochreißend, sobald der Bass gedropped wird und ein Song seinen Höhepunkt erreicht. Neue Bekanntschaften werden geschlossen, oder zumindest ein paar nette Worte gewechselt, soweit hörbar, ansonsten sind sich alle vertraut in der Musik und haben hier einen klaren gemeinsamen Nenner, auf den sich Einzulassen sehr leicht ist. Den auf den entgegenkommenden Floats ravenden Menschen winken wir gut gelaunt zu, einige Trucks verschießen rauchgefüllte, schneeweiße Seifenblasen über die Menge. Am Straßenrand tummeln sich schaulustige Zuschauer und feuern die vorüberziehende Parade, uns, an.

Los gehts in die eigentliche Parade

Los gehts in die eigentliche Parade

Gegenverkehr sorgt für Stereo-Beschallung

Gegenverkehr sorgt für Stereo-Beschallung

Ravin Hard

Ravin Hard

So ziehen wir im Schneckentempo durch den Tiergarten in Richtung Brandenburger Tor, wo wir eine Wende vollziehen und es in die andere Richtung zurück geht. Ich wechsele den Float und folge nun dem deutlich größeren Bam-Mobil, der Wagen des Loveparade-Urgesteins Westbam. Hier ist die Menge ebenso noch mal deutlich größer, und es wird etwas schwieriger, näher heranzukommen und in der Musik richtig aufzugehen. Trotzdem ziehe ich zur Musik noch einmal die knapp zwei Kilometer vor die Siegessäule, bevor ich mich elegant in der Kurve um den Großen Stern aus der tanzenden Masse herausschäle, mittlerweile schon ein wenig aufgeweicht und fröstelnd. Der Eine oder Andere hier wird sicher, in guter Berliner Party-Manier, schon seit fünf Stunden hier sein, und noch drei weitere, und die Afterparty in einem der vielen Clubs, die am heutigen Samstagabend den feiertechnischen Höhepunkt ihrer Woche zelebrieren werden, mitnehmen. Ich bin vielleicht schon zu alt für sowas.

Raver erobern die ganze Straße des 17. Juni

Raver erobern die ganze Straße des 17. Juni

Stumm wacht das Ehrenmahl über die Feiernden

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