Über den Tiber

italien
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Author

Alex

Published

November 13, 2025

Modified

November 13, 2025

Kurzinfo:

Freitag Abend

Die Gassen gleichen den Gängen eines Ameisenhaufens. Dicht an dicht schieben sich die Besucher durch das Gewimmel, man muss sich an manchen Stellen geradezu anstellen, um an den bestuhlten Außenbereichen der Restaurants und Cafes vorbeizukommen. Große Kelche mit Aperol Spritz stehen auf den Tischen, reich gedeckte Holzbrettchen mit italienischen Köstlichkeiten wie herzhafter Wurst, weißem Käse und krossem Weißbrot frisch aus dem Ofen türmen sich darauf, um den Appetit der davor Sitzenden zu stillen. Wenn man sich im Schneckentempo daran vorbeischieben muss, kann man den würzigen Duft dieser Köstlichkeiten erschnuppern, und mir läuft das Wasser im Munde zusammen, obwohl ich selbst erst kurz zuvor gegessen habe. Lautes Geplapper aus eintausend Mündern in einhundert Sprachen erfüllt die Luft, aus den Lokalen tönen Popmusik und italienische Schlager. Ich bin umgeben von Hexen, Zombies und Monstern, der heutige Halloweenabend spiegelt sich in den Outfits der Vorüberziehenden wider. Ein mit Spinnenweben und einem großen Sensenmann dekorierter Oldtimer macht Werbung für ein Restaurant, in vielen Schaufenstern tummeln sich Spinnen, Gespenster und Kürbisse. Zahlreiche große Gruppen an jungen Einheimischen und Touristen treiben gut gelaunt an mir vorbei und unterhalten sich lautstark in Vorfreude auf eine lange Partynacht.

Ich gelange an den Piazza di Santa Maria in mitten dieses sprichwörtlichen Hexenkessels. Hier ist es mal nicht ganz so voll, und ich finde auf den Steinstufen des mitten auf dem Platz gelegenen gleichnamigen Fontana di Santa Maria einen Platz auf den Steinstufen. Eine Weile betrachte ich das geschäftige Treiben, viele Feiernde haben sich hier auf ein Getränk zum Vorglühen getroffen, warten auf ihre Freunde oder machen eine kurze Pause. Kinder zischen überdreht umher, daneben sitzen ihre Eltern, stets bemüht, die Kontrolle zu behalten, vielleicht in der Hoffnung, der Nachwuchs ist bald müde genug für die Rückkehr zum Hotel. Straßenverkäufer lassen leuchtendes Spielzeug in den Nachthimmel aufsteigen, das in schimmernden Spiralen zum Boden zurück segelt und die Kleinen natürlich ganz besonders beeindruckt.

Trastevere am Freitag Abend - laut und lebendig

Trastevere am Freitag Abend - laut und lebendig

Halloween wird hier gelebt

Halloween wird hier gelebt

Das zweite Mal hier

Rom wirkt auf mich schon fast wie eine andere Stadt, seit ich das letzte Mal vor gut fünf Jahren hier war. Vielleicht verkläre ich aber auch nur. Es war das erste Corona-Jahr, und ich hatte eigentlich eine Reise nach Übersee geplant, für die ich länger Urlaub bekommen hatte. Durch diverse Reisebeschränkungen und eine unsichere Planungssituation wurde es dann Bella Italia. Das war an sich kein Opfer, denn die Ewige Stadt hatte ich auch noch nie besucht. Ich konnte die berühmten Sehenswürdigkeiten fast alleine bewundern, das Kolosseum hatte geöffnet und man konnte es spontan besuchen. Das Forum Romanum war fast leer, als ich dort hindurch spazierte, sodass man sich fast fühlte, als hätte man die antike Stadt soeben erst entdeckt und wandelte als ihr Erforscher durch die ehrwürdigen Ruinen. Auch in Trastevere war ich damals gewesen, trotz der Pandemie hatten viele Restaurants und Bars geöffnet, und es war ein bisschen was los. Ich traf mich mit einer großen Gruppe Couchsurfer auf dem Piazza Trilussa. Gemeinsam zogen wir durch ein paar Bars, und hatten fast keine Probleme, auch als große Gruppe von über zehn Leuten hier etwas an einem Samstagabend zu finden. Auch damals hatten wir Masken auf, aber nicht wegen Halloween.

Allein der Versuch, hier mit einer großen Gruppe einen Platz zu kriegen, wirkt auf mich heute eher aussichtslos. In den zahllosen Bars, Cafes und Kneipen, die die Gassen Trasteveres säumen, ist eigentlich jeder Tisch und jeder Stuhl besetzt, und spontan ist hier wohl nur etwas mit wenigen Leuten oder großem Glück zu finden. Heute gleicht der Piazza Trilussa, einer der hauptsächlichen Treffpunkte des Viertels direkt am Tiber, eher einem Volksfest. Selbst zur schon fortgeschrittenen Stunde, als ich dort vorbeikomme und mich zu einer zweiten Pause mit einem Getränk auf der Treppe vor dem Brunnen Fontana di Ponte Sisto niederlasse, finde ich dort kaum einen Sitzplatz auf den Stufen. Um mich herum junge Leute aus aller Welt, die, größtenteils verkleidet, feixen, feiern und flirten, einige schon ziemlich angeschwipst. Es werden Bekanntschaften geschlossen und vertieft, ein überdimensionaler Burrito läuft über den Platz und posiert mit jedem, der will, für ein Handyfoto. Es wollen viele. Auf der Ponte Sisto, die, dem Platz gegenüber liegend, den Fluss überspannt, spielt eine Gruppe Straßenmusiker vor einem begeisterten Publikum. Es ist eine ausgelassene Stimmung, und ich beschließe den Heimweg anzutreten, der mich noch eine knappe Stunde kosten wird.

In den Bars ist viel los

In den Bars ist viel los

Ruhige Ecken muss man suchen

Ruhige Ecken muss man suchen

Die Piazza Trilussa ist das Epizentrum

Die Piazza Trilussa ist das Epizentrum

Live Musik auf der Ponte Sisto

Live Musik auf der Ponte Sisto

Nächster Morgen

“Ich weiß, ihr seid Besucher hier, und ich will euch eigentlich von den schönen Seiten von Trastevere erzählen. Aber ich muss euch ehrlich sagen, dass sich das Viertel in den letzten Jahren enorm gewandelt hat. Durch Overtourismus hat sich der Vibe hier verändert: Früher war es alles eher gemütlich mit kleinen Cafes und Bars, heute gibt es immer mehr große Restaurants, die Jumbo-Cocktails servieren. Ich habe Freunde, die hier Lokale betrieben haben, die sie mittlerweile geschlossen haben. Nicht, weil sie sich wirtschaftlich nicht rentierten, sondern weil sie sich mit dem Viertel nicht mehr identifizieren konnten.” Das erzählt uns unsere Tourguide Emily, die eigentlich aus Dänemark stammt und seit fünf Jahren in Rom lebt, also etwa seit der Zeit meines letzten Besuchs. Eigentlich geht es bei dieser Free Walking Tour um die jüdische Geschichte Roms, besonders des Viertels gegenüber von Trastevere am anderen Tiberufer. Aber auch hier kommen wir noch durch, und sie geht natürlich auch auf die heutige Bedeutung Trasteveres für die Stadt ein.

An diesem Morgen ist es deutlich ruhiger als am vorangegangenen Freitagabend, die meisten der Partygänger sind wohl noch zuhause und kurieren ihren Kater aus. Was sie sagt, bestätigt meinen leisen Eindruck des Vorabends. Eine Stadt wie Rom wandelt sich wohl stetig und passt sich an, aber als Einheimischer nimmt man diese Veränderungen oft nicht unbedingt positiv wahr. Viel hat uns Emily über bedeutende Gebäude und Plätze hier erzählt, aber für Menschen, die hier ihren Alltag verbringen, sind das wohl nicht die prägenden Aspekte des Lebens hier.

Natürlich bin ich Teil dieses Wandels, schließlich bin auch ich hier nur zu Besuch. Und ich kann mir wohl kaum anmaßen, das umfassend zu beurteilen. Im jüdischen Viertel, das wir am Anfang der Tour besichtigt haben, fragte ich sie, ob Gentrifizierung hier ein großes Problem wäre. Das verneinte sie zu meiner Überraschung, anscheinend gehören viele Gebäude hier dem Vatikan und werden zu moderaten Preisen und ohne übertriebenes Gewinnstreben an die Bewohner vermietet, sodass man auch heute hier noch ein florierendes jüdisches Leben beobachten kann. Koschere Restaurants, hebräische Ladenschilder und, an diesem Samstagvormittag besonders viele, Menschen in religiöser Kleidung prägen das Bild. In Trastevere sieht das wohl etwas anders aus, durch den Zuzug von Internationalen, die das Flair dieses Ortes genießen wollen, und durch einen immer größeren Bedarf an Übernachtungsmöglichkeiten für Touristen ist hier vieles nicht mehr so, wie es einmal war. Und dieser Wandel wird sich wohl so fortsetzen.

Was bleibt, ist die reiche Geschichte, die sich hier - wie an fast jeder Ecke der Ewigen Stadt - findet. Sie bewahrt die Vergangenheit einerseits, sorgt aber andererseits dafür, dass sich auch in Zukunft viele Besucher hierher verirren und ihr ein zusätzliches Kapitel hinzufügen werden.


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