“My, my
At Waterloo, Napoleon did surrender
Oh, yeah
And I have met my destiny in quite a similar way”
So singen ABBA in ihrem Hit “Waterloo” von 1974. Und obwohl das Lied ein Welterfolg war und der schwedischen Popband nicht zuletzt den ersten Platz beim Eurovision Song Contest einbrachte, ist es doch nicht ganz richtig, was sie da texten. Denn auch wenn im Gegensatz zu dem Lied “Waterloo” der Ortsname nicht für einen fulminanten musikalischen Sieg steht, sondern für ein Niederlage fatalen Ausmaßes (zumindest für Frankreich), hat Napoleon sich hier nicht ergeben. Lediglich das Ende seiner hundert Tage währenden Herrschaft nach seiner triumphalen Rückkehr aus dem ersten Exil in Elba wurde eingeleitet. Er selbst floh vom Schlachtfeld und wurde kurze Zeit später gefangen genommen und in sein zweites Exil geschickt.
Das alles und noch viel mehr lernt man bei einem Besuch vor Ort am Waterloo Memorial, oder französisch das Domaine de la Bataille Waterloo. Es befindet sich wenig überraschend am Ort der historischen Schlacht etwas südlich der belgischen Hauptstadt Brüssel. Was damals noch weitläufige Felder und Wiesen neben einem Dorf gewesen sind, in denen sich einzelne Bauernhöfe tummeln, ist heute ein nach wie vor weitläufiges Gelände direkt neben der heute 30000 Einwohner zählenden Stadt.
Anreise
Da ich mich für Geschichte interessiere und sich das nicht selten beim Reisen gut verbinden lässt, war es klar, dass ich während meines Aufenthaltes in Brüssel die Gedenkstätte besuchte. Die Anreise an sich nimmt schon etwas Zeit in Anspruch, da der Ort Waterloo heute auch nur eine Kleinstadt ist. Wer nicht über ein Auto verfügt, muss mit dem öffentlichen Nahverkehr Vorlieb nehmen, und man hat die Wahl zwischen einem Vorortzug oder einem Bus (Linie W), der vom Stadtzentrum Brüssels aus in gut 80 Minuten das Memorial anfährt.
Museum
Dort angekommen, beginnt ein Besuch im Besucherzentrum und dem erst zehn Jahre alten Museum, das in einer sehr detaillierten Ausstellung die zugehörige Geschichte erläutert. Hier wird nicht nur die Schlacht selbst, sondern die gesamte Geschichte Napoleons und des französischen Kaiserreiches, angefangen bei der französischen Revolution, erläutert. Weiter geht es mit einer Ausstellung zu den wichtigsten Stationen in Napoleons Karriere sowie seinen größten militärischen Triumphen gegen die gegnerischen europäischen Großmächte, vor allem England, Preußen, Russland und Österreich. Erst danach beginnt die Ausstellung sich dem eigentlichen Hauptthema zu widmen, und das in einer gründlichen Detailtiefe, die einem fast schwindelig werden lässt. Es werden Informationen zu unterschiedlichsten Aspekten präsentiert: Von den kleinsten Details der Uniformen, über das soziale Gefüge der Soldaten und die technische Funktionsweise der verwendeten Waffen, bis hin zur taktischen Aufstellung der beteiligten Armeen. Das lässt das Herz eines Geschichts-Nerds (als den ich mich nicht bezeichnen würde) höher schlagen, aber die meisten normalsterblichen Besucher wohl schnell eher erschöpft zurück. Höhepunkt zum Ende hin bildet ein kurzer 4-D Film, in denen der Zuschauer Napoleon, Wellington und einem jungen französischen Trommler im Schlachtverlauf folgt. Es folgt ein kurzer, deprimierender Abriss zu den Opferzahlen und dem heutigen Stand der Ausgrabungen und historischen Forschung, die natürlich nach wie vor erfolgt und hin und wieder neue Erkenntnisse ans Licht bringt.
Panorama & Löwenhügel
Nach dieser intensiven Auseinandersetzung mit den historischen Hintergründen kann man dann an die frische Luft und das eigentliche Schlachtfeld begutachten. Das heißt fast, denn zunächst geht es in ein altehrwürdiges separates Gebäude, in dem azf einem großflächigen Panoramagemälde die Schlacht von Waterloo in beeindruckender Größe auf die Leinwand gebannt wurde. Zusammen mit einigen lebensgroßen Nachbildungen von toten Menschen, Pferden und Kriegsmaterial steht der Besucher staunend inmitten dieses Gebildes und kann im 360-Grad-Blick das Panorama erkunden.
Direkt daneben erhebt sich stolz der 43 Meter hohe Löwenhügel, der bereits gut zehn Jahre nach der Schlacht als Mahnmal aufgeschüttet wurde und mit seiner markanten Form deutlich sichtbar das ehemalige Schlachtfeld überragt. Er kann in 226 Stufen erklommen werden und bietet einen wirklich tollen Blick über die Wiesen und Felder, auf denen sich vor über zweihundert Jahren die Soldaten Frankreichs und der Alliierten gegenseitig abschlachteten. Auf seiner Spitze finden sich nicht nur Ferngläser und Bänke, um die Aussicht noch besser genießen zu können, sondern auch ein kolossaler Löwe aus Eisen. Dieser repräsentiert, in Richtung Frankreichs blickend, das Wappentier einiger beteiligter Siegerparteien und den gewaltigen Triumph, der an diesem Tag errungen wurde. Angeblich wurde er aus erbeuteten französischen Kanonen gegossen.
Hougoumont
Wer danach immer noch was erleben möchte, kann mit einem inkludierten Shuttle-Zug, den man sonst vielleicht in einem Freizeitpark finden würde, das Schlachtfeld aus nächster Nähe erkunden fahren. Ziel ist der ehemalige Bauernhof Hougoumont, an dem während der Schlacht besonders heftige Kämpfe zwischen britischen und deutschen Soldaten auf der einen Seite und französischen Truppen auf der anderen stattfanden. Am Ende konnten die Franzosen trotz wiederholter, blutiger Angriffe den Bauernhof nicht einnehmen und diesen strategisch wichtigen Ort für sich beanspruchen. Er ist bis heute fast vollständig erhalten und zu einer weiteren Ausstellung ausgebaut worden, die im Rahmen eines Besuchs der Gedenkstätte zum Programm gehört. Man kann fast jedes der wirklich außergewöhnlich gut in Schuss gehaltenen Gebäude besuchen, durch die umgebende Landschaft streifen und sich ausmalen, welche schrecklichen Momente die Verteidiger hier wohl erlebt haben mochten.
Der informationshungrige Besucher kann auch hier in weiteren Ausstellungen, die vielfach medial aufwendig mit Video- und Lichtinstallationen gestaltet sind, das Geschehen von diesem Tag detailliert nachvollziehen. Eine regelmäßige Filmvorführung in einer ehemaligen Scheune verbindet dramatische Szenen aus der Schlacht mit beweglichen Relief-Tafeln, die in leuchtenden Farben anprojeziert werden. Ein Erzähler verdeutlicht zu schwerer Filmmusik mit tiefer Gottesstimme die Wichtigkeit und historische Bedeutung der Schlacht von Waterloo und die Größe, die ihre Beteiligten gezeigt haben. Es ist schon fast lächerlich überzeichnet, als wäre man auf einer Rekrutierungsveranstaltung und sollte selbst gleich in die britische Armee eingezogen werden. Man erwartet beim Verlassen der Scheune direkt eine Waffe und Uniform in die Hand gedrückt zu bekommen und auf einen LKW gesetzt zu werden, der einen direkt zur Grundausbildung bringt. Da wir uns jedoch in einem Land befinden, das zum Zeitpunkt der Schlacht noch nicht in der heutigen Form existierte, ist das wohl eher unwahrscheinlich, und so wartet nur das Besucherbähnlein, um mich zum Museum zurück zu bringen. Außerdem sind die blutigen Opfer, die Waterloo gefordert hat, wohl eher nicht ins Lächerliche zu ziehen.
Ein makabrer Ergänzung, die man nur im Internet und nicht im Museum erfährt, sei mir jedoch an dieser Stelle gestattet: Nachdem direkt nach der Schlacht viele Tote in Massengräbern bestattet wurden, fand man bei späteren Grabungen nur noch vereinzelt Skelette. Lange war unbekannt, was mit den übrigen zwischenzeitlich passiert war, bis jüngere Forschungen ergeben haben, dass man gut zwanzig Jahre nach der Schlacht begonnen hat, die Toten auszugraben und an die Zuckerindustrie zu verkaufen. Mit dem Knochenmehl der Gefallenen konnte man den Zucker wohl von Verunreinigungen befreien. Einerseits pragmatisch, andererseits wohl kein angemessener Umgang mit denen, die bei Waterloo ihr Leben lassen mussten.
Fazit
Auch wenn man droht, von der schieren Fülle der dargebotenen Informationen erschlagen zu werden, und überfrachtet mit viel neuem Wissen vielleicht eher froh ist, die Heimreise antreten zu können: Das Domaine de la Bataille Waterloo erfüllt seine Aufgabe, den Besucher zur Schlacht von Waterloo, ihren Hintergründen und Folgen, zu informieren und die Erinnerung daran lebendig zu halten, insgesamt ganz ausgezeichnet. Im Gegensatz zu vielen eher trockenen Museen mit einer Kette an bedeutungslosen Jahreszahlen und alten Schinken an den Wänden, ist man hier sichtlich bemüht, Geschichte lebendig werden zu lassen und einem zu ermöglichen, sich hineinzuversetzen, als wäre man dabei gewesen. Und nach so vielen prägenden Eindrücken bin ich wohl ganz froh, dass dem nicht so war.













